Schutz vor HIV
durch Präexpositionsprophylaxe (PrEP): Psychosoziale Aspekte
Schutz vor HIV durch Präexpositionsprophylaxe (PrEP): Psychosoziale Aspekte
Obwohl die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) als Schutz vor HIV medizinisch sinnvoll ist, wird diese neueste Variante von „Safer Sex 3.0“ (Kondom, Schutz durch Therapie, PrEP) nicht nur in der schwulen Szene kontrovers diskutiert. Welche psychosozialen Aspekte stehen einer breiteren Anwendung dieser neuen Methode im Weg?

Die PrEP stellt eine hochwirksame Erweiterung der Möglichkeiten dar, sich vor einer Infektion mit HIV zu schützen. Sie wird von vielen Experten als der „Game Changer“ auf dem Weg zu einer Beendigung der HIV -Epidemie angesehen. Einen Überblick über die Fakten zur PrEP findest du hier.
Gegenwärtig besteht noch ein Informationsdefizit sowohl unter den Angehörigen der Betroffenengruppen als auch unter Mitarbeitern des Gesundheitswesens. Diesem sollte durch kompetente und neutrale Aufklärung entgegengewirkt werden. Allen Versuchen, die PrEP als eine der wirksamsten Methoden zur Beendigung der Aids-Epidemie mittels Moralisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung zu diskreditieren, muss mit Entschiedenheit entgegengetreten werden.
Der weiteren Verbreitung der PrEP stehen verschiedene Hürden im Weg, wobei die entscheidenden hierzulande psychosozialer Natur sind.
Psychosoziale Hindernisse für eine breitere Anwendung der HIV -PrEP
Die PrEP ist aus medizinischer Sicht für viele Menschen sinnvoll. Sie bietet nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf seelischer Ebene eine Reihe von Vorteilen. (Lies hierzu auch die beiden Artikel „Schutz vor HIV durch Präexpositionsprophylaxe (PrEP): Vor- und Nachteile auf körperlicher Ebene“ sowie „Schutz vor HIV durch Präexpositionsprophylaxe (PrEP): Auswirkungen auf seelischer Ebene“)
Mangelndes Wissen:
Stigma:
- Vor allem ältere MSM (Men having Sex with Men) haben das Kondomgebot in einer Zeit verinnerlicht, in der es den einzigen wirksamen Schutz vor einer HIV -Infektion darstellte. Gerade Menschen, die den Höhepunkt der Aids-Krise in den 1980er und 1990er Jahren miterlebt haben, die durch permanente Todesangst und den Verlust von Freunden traumatisiert wurden, können verständlicherweise recht vehement auf die „neue sexuelle Zügellosigkeit“ reagieren, weil diese traumatische Erinnerungen weckt und Angst auslöst.
- Manchmal sind auch HIV -Positive empört über das als verantwortungslos empfundene Verhalten, das der Ausbreitung anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen Vorschub leiste. Hinter dieser Empörung können sich Wut und Trauer darüber verbergen, selbst nicht mehr diese Chance gehabt zu haben, sich vor HIV zu schützen.
- Dann gibt es noch die Gruppe jener Menschen, die jede Zunahme sexueller Freiheit mit Argwohn beobachten und einzudämmen versuchen. Psychoanalytisch betrachtet handelt es sich hier häufig um „Projektion“, also die Abwehr eigener unbewusster und abgelehnter Wünsche, indem man diese einer anderen Person unterstellt: „ICH würde die PrEP niemals nehmen! ICH bin doch nicht so ein sexuell Zügelloser, Promiskuitiver usw.“ Dahinter steckt außerdem oftmals die Angst vor dem Kontrollverlust und Triebdurchbruch. Für manchen mag die Bedrohung durch HIV in den letzten Jahrzehnten eine wirksame äußere (Selbst-)Kontrollinstanz gewesen sein – man hat sich sexuell gezügelt aus Angst vor der Infektion. Aber was passiert, wenn diese Angst jetzt wegfällt? Droht dann der Durchbruch der ungezügelten Triebhaftigkeit und Lust? Tatsächlich kann die PrEP helfen, beim Sex die Kontrolle aufzugeben. Das ist jedoch aus psychohygienischer Sicht in vielen Fällen wünschenswert, weil Unglück in der Sexualität und sexuelle Störungen viel häufiger mit einem Zuviel an Kontrolle zu tun haben als mit einem Zuwenig. Und es ist zweifellos gesünder, wenn der Kontrollverlust in nüchternem Zustand erlebt werden kann und nicht nur unter Drogeneinfluss im Rahmen von Chemsex . Dennoch macht ein „Zuviel“ an Freiheit vielen Menschen Angst: „Wo kommen wir denn da hin? Wenn das jeder machen würde!“
- Martin Reichert schreibt in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Die Kapsel – Aids in der Bundesrepublik“ zum Thema PrEP: „Es gibt bei vielen schwulen Männern die Tendenz, (…) die schnellen, anonymen Kontakte nicht nur in der Öffentlichkeit zu verbergen, sondern gleich ganz abzuspalten.“ Damit ist die seelische Abspaltung im Sinne eines Verdrängungsmechanismus‘ gemeint. Die Einnahme der PrEP kann dann als (Selbst-)eingeständnis verstanden werden, dass man viele und dazu noch moralisch „verbotene“ (nämlich anonyme und/oder kondomlose) Sexualkontakte hat. Diesem Selbsteingeständnis gehen aber viele aus dem Weg, vor allem nicht geoutete homo- oder bisexuelle Männer.
Zugang:
Angst vor dem HIV -Test:
Buchtipp:
Martin Reichert, Die Kapsel. Suhrkamp, Frankfurt 2018
Danksagung
Der Autor dankt Thomas Steinbusch, früherer ehrenamtlicher Mitarbeiter der Aidshilfe, sowie den Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV -Infizierter e. V. (dagnä) und der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV -Infizierter Nordrhein e.V. (näagno) für die hilfreichen Anregungen und die offene Diskussion.
Autor: Dr. Steffen Heger