Nahezu täglich sind wir mit Erlebnissen konfrontiert, die uns Angst machen können. Angst äußert sich auf vier Ebenen: Auf der körperlichen Ebene zeigt sie sich z. B. als Zittern, Herzklopfen oder feuchte Hände. Auf der gedanklichen Ebene kommen Befürchtungen auf, z.B. „Ich werde sterben“. Auf der Gefühlsebene können Panik oder Hilflosigkeit gespürt werden. Auf der Verhaltensebene schließlich wird meistens versucht, die Angst auslösende Situation zu verlassen oder Hilfe zu suchen. In der Regel verfügt unsere Psyche über Mittel, die Angst zu regulieren.
Die meisten Menschen fürchten sich insbesondere vor Krankheit und Tod. Dabei gibt es bestimmte Erkrankungen, die besonders große Angst auslösen. Krebserkrankungen gehören dazu, aber auch HIV
-Infektionen und Aids. Normalerweise hilft uns unsere Psyche zu unterscheiden, ob und wo wirklich ein Risiko besteht und lässt uns entsprechend zielgerichtet handeln. Im Idealfall bringt uns gesunde Angst dazu, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, Vorsorge- oder Früherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen oder, wenn die Erkrankung bereits eingetreten ist, die für uns angemessene Behandlung zu suchen.
Es gibt aber auch Situationen, in denen diese Angstregulation nicht mehr funktioniert und uns nicht mehr angemessen reagieren lässt. Dann wird die Angst selbst zum Problem. Man spricht von einer „Angsterkrankung“ oder „Angststörung“.
Unbehandelt neigen Angststörungen
zur Chronifizierung
. Sie können dann eine Reihe von Komplikationen nach sich ziehen, wie z. B. sozialen Rückzug, gesteigerten Alkohol- und Drogenkonsum, Medikamentenmissbrauch, längere Arbeitsunfähigkeit, Einschränkungen der Lebensqualität und Depressionen. Zum Glück gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten. Je früher du fachliche Hilfe suchst, umso besser.
Bei der sozialen
Phobie
treten Angstgefühle oder starkes Unwohlsein in Anwesenheit anderer Menschen auf, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Restaurant. Charakteristisch ist das Gefühl, von anderen kritisch beobachtet und negativ beurteilt zu werden. „Was die jetzt wohl über mich denken?“, „Ob die mir mein Schwulsein / meine
HIV
-Infektion ansehen?“ können typische Gedankengänge sein. Das geht mit einer starken Verunsicherung einher und führt zur Vermeidung solcher Situationen. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück, weil sie sich allein wohler und entspannter fühlen. Zunehmende Vereinsamung kann die Folge sein. Gerade wenn sich ein Betroffener mit
Scham
- und Schuldgefühlen plagt, kann die
soziale Phobie
natürlich auch im Zusammenhang mit einer
HIV
-Infektion auftreten.
Panikstörung:
Hier handelt es sich um diffuse Ängste, die weniger mit einer konkreten Befürchtung verbunden sind. Man spricht daher von „frei flottierender Angst“. Diese Form der Angst wird vor allem körperlich erlebt: Zittern, Herzrasen, Schweißausbrüche, Engegefühle in der Brust und ein Kloßgefühl im Hals sind häufige Symptome. Auf seelischer Ebene kommt meist das Gefühl dazu, neben sich zu stehen, die Kontrolle zu verlieren, „verrückt“ zu werden, gleich „durchzudrehen“. Eine
Panikattacke
kann so intensiv sein, dass der Betroffene Todesangst verspürt. In der Regel dauern solche Angstanfälle oft „nur“ wenige Minuten, die dem Betroffenen aber wie eine Ewigkeit vorkommen. In selteneren Fällen kann der Zustand aber auch über Stunden anhalten. Panikattacken treten meistens aus scheinbar heiterem Himmel auf, manchmal sogar aus dem Schlaf heraus, und sind oft nicht an bestimmte auslösende Situationen gekoppelt. Da die Angst bei der Panikstörung in erster Linie auf der körperlichen Ebene gespürt wird, befürchten die Betroffenen meistens eine akute körperliche Erkrankung zu haben, zum Beispiel einen Herzinfarkt. Daher rufen sie nicht selten den Notarzt. Da manchmal bestimmte körperliche Erkrankungen (z.B. eine Schilddrüsenüberfunktion) ähnliche Symptome auslösen können, sollte zum Ausschluss einmal eine körperliche Untersuchung durchgeführt werden.
Bei der
Agoraphobie
treten Ängste auf, wenn der Betroffene sein Zuhause verlässt. Die Angstgefühle werden beispielsweise in Menschenmengen, auf öffentlichen Plätzen oder Straßen, beim Autofahren oder auf Reisen verspürt. Typischerweise entstehen sie vor allem, wenn man allein unterwegs ist, während die Anwesenheit einer vertrauten Person die Ängste mildern oder ganz zum Verschwinden bringen kann. Da die Ängste bei der
Agoraphobie
in ganz bestimmten Situationen auftreten, neigen die Betroffenen zur Vermeidung solcher auslösenden Situationen. Vermeidung führt jedoch zur Verschlimmerung der Ängste und schränkt den Bewegungsradius immer weiter ein. In Extremfällen können die Patienten ihr Zuhause nicht mehr verlassen oder nur noch, wenn sie sich von einem zuverlässigen Begleiter beschützt fühlen. Die
Agoraphobie
tritt häufig kombiniert mit einer Panikstörung auf.
Die
HIV
-
Phobie
ist eine Variante der weit verbreiteten Krankheitsphobien, bei denen die Betroffenen befürchten, eine bestimmte Erkrankung zu haben und deswegen immer wieder zu ihrer Beruhigung ärztliche Untersuchungen einfordern. Bei der
HIV
-
Phobie
handelt es sich um die anhaltende oder ständig wiederkehrende Befürchtung, sich mit
HIV
infiziert zu haben, obwohl in den meisten Fällen kein oder nur ein äußerst geringes
Infektionsrisiko
bestand. Die Betroffenen suchen immer wieder Beratungsstellen auf und verlangen wiederholt nach einem
HIV
-Test. Selbst wenn sie in der Beratung zunächst beruhigt werden können oder der Test negativ ausfällt, verschwindet die Angst aber nur für kurze Zeit und taucht dann bei nächster Gelegenheit wieder auf.
Autor: Dr. Steffen Heger